Er begehrte sie. Er begehrte sie, wie er nie zuvor eine Frau begehrt hatte.

Lisa, das verwöhnte Jetsetgirl mit seiner Hybris, seiner naturgegebenen Schönheit und seiner unbekümmerten Oberflächlichkeit, der etwas Beleidigendes anhaftete.

Eigentlich hätte ihn das alles abschrecken sollen, bewirkte aber das genaue Gegenteil. Er hielt sich an seinem Whisky-Glas fest und sah ihr dabei zu, wie sie die Auserwählten, die sie zu ihrem 21. Geburtstag empfing, mit hingehauchten Küssen begrüßte und er beobachtete Roman, ihren Verlobten, den er beneidete, wie keinen anderen – den Mann mit dem sie einst Kinder haben würde, hübsche kleine Upperclass-Prinzen und -Prinzessinnen.

Roman war sein Freund und er hatte Paul ausgestochen bei der Eroberung von Lisa; Roman mit seinem guten Aussehen, seinem öligen Charme und dem Geld, das er einst erben würde.

Seine Familie galt als ebenso angesehen und einflussreich wie ihre. Hier verband sich, was traditionell wohl zusammen gehörte.

Paul stammte zwar auch aus gutem Hause, seine Familie hingegen war nicht annähernd so betucht wie Romans. Dafür konnte Paul auf adelige Vorfahren zurückblicken. Diesem Umstand verdankte er vermutlich seine Anwesenheit auf Lisas Fest.

Roman lehnte lässig am Fenster und fixierte Lisas attraktive Freundinnen. Lisas Bruder Carlo leistete ihm dabei Gesellschaft. Beide lachten über ihre Bemerkungen, die unübersehbar mit den Mädchen zu tun hatten. Paul stieß dieses Verhalten ab. Vielleicht würde Lisa eines Tages erkennen, dass sie an den falschen Mann geraten war. Er hoffte es innig.

Als das philippinische Dienstmädchen weitere Drinks reichte, bedankten sich Roman und Carlo bei ihm mit zotigen Bemerkungen. Maria war vermutlich ebenso alt wie Lisa, nicht ganz so gutaussehend und ziemlich arm. Der Gegensatz zwischen den beiden Mädchen hätte kaum größer sein können. Paul hätte Maria nicht weiter beachtet, wenn seine Freunde sich ihr gegenüber nicht so ausfallend benommen hätten. Mit Abscheu registrierte er, dass sie ihren Hintern tätschelten.

Er wollte dazwischen gehen, ließ es aber, um Lisa nicht zu kompromittieren.

Lisa bekam von all dem nichts mit. Sie war vollkommen damit beschäftigt, ihrer Rolle als mondäner Mittelpunkt des Abends gerecht zu werden. Warmes Licht zauberte ein strahlendes Flackern in ihr engelsgleiches Gesicht. Nie war sie schöner, als in diesem Moment. Paul würde auf sie warten, auch wenn dieses Warten bis ans Ende seiner Tage dauern sollte. Es störte ihn nicht, dass sie ihn kaum beachtete.

Er trank und beobachtete. Seine Freunde tranken auch und wurden zunehmend ausfallender gegen Maria, die sich nicht wehren konnte. Niemand kümmerte sich darum. Auch Paul nicht. Maria war nicht seine Welt. Man erzählte sich, dass sie mit einem dicklichen, alternden deutschen Mechaniker verheiratet sei, der sie aus Manila geholt hatte. Wenn sie den aushielt, dann konnten ihr Typen wie Roman und Carlo eher Freude bereiten, als schaden, fand Paul. Der Abend schritt fort und er spürte, dass er etwas zuviel getrunken hatte. Darauf kam es nicht an, mit Alkohol ließ sich unerfüllte Sehnsucht besser ertragen.

Er hatte ein wenig getanzt und lümmelte nun auf dem eleganten, weißen Sofa in Lisas weitläufigem Elternhaus, das eher einem Schloss glich. Die Eltern waren verreist, sie wollten ihrer Tochter die große Feier nicht durch ihre Anwesenheit verderben.

Da er fand, dass er etwas frische Luft brauchte, öffnete Paul die Flügeltür zum Park und schlenderte in die kühle, trockene Nacht hinaus.

Als er fast 500 m vom Haus entfernt war, hörte er ein jämmerliches Wimmern. Er konnte erst nicht ausmachen, was es war, dann aber, als er näher kam, erkannte er den Grund des Wehklagens. Seine Freunde waren über Maria gebeugt und vergewaltigten sie, daran bestand kein Zweifel. Roman saß auf ihrem Kopf, während Carlo offenbar in sie eindrang. Es war ein abstoßendes unwürdiges Schauspiel. Paul beschämte der Anblick. Spätestens jetzt hätte er dem armen Mädchen helfen müssen, stattdessen stahl er sich feige davon. Er kehrte ins Haus zurück und bestellte sich seelenruhig ein Taxi.

Am nächsten Morgen wurde er durch das Läuten des Telefons geweckt. Sein Kopf dröhnte, als er abhob und Lisas wunderbar sanfte Stimme hörte. Sie weinte und zum ersten Mal zeigte sie Gefühle. Paul war überwältigt.

Was sie dann allerdings sagte, versetzte ihn in Schockstarre.

„Maria hat sich umgebracht. Sie hat sich heute Nacht die Pulsadern aufgeschnitten“, schluchzte sie.

„Oh das ist ja furchtbar. Hat sie eine Nachricht hinterlassen?“, stotterte er benommen, da ihm nichts besseres einfiel und er an ihre Peiniger dachte, die nun wohl in große Schwierigkeiten geraten würden, wenngleich er davon ausging, dass ihre Familien einen solchen Skandal diskret aus der Welt schaffen würden.

„Ja, sie hat eine Nachricht hinterlassen. Sie schrieb, sie könne nicht weiterleben, weil sie Aids habe und die Schande und die Folgen dieser Krankheit nicht länger ertrüge. Stell dir vor und diese Frau hat in unserem Haushalt gearbeitet, welch ein Albtraum! Ich wage nicht, mir vorzustellen, was meine Eltern dazu sagen werden. Ich habe gleich einen Termin bei unserem Hausarzt vereinbart.“

Lisas Reaktion versetzte ihm einen weiteren Schock. Insgeheim empfand er aber so etwas wie Genugtuung. Er dachte an die hübschen Kinder, die Lisa nun vielleicht nicht mehr mit ihrem öligen Spross aus dem Großbürgertum haben würde. Die arme, kleine Maria hatte sich am Ende für das erlittene Unrecht auf ihre Art gerächt – was für eine bitterböse Ironie!

Karl saß in der Praxis des Arztes, der die Obduktion seiner Frau vorgenommen hatte. Er hatte seit Tagen nicht geschlafen und seine Augen waren tränenleer. Der Arzt berührte sanft die Hand des Automechanikers und sah ihm tröstend in die Augen: „Ihre Frau hatte kein Aids. Sie müssen sich deswegen nicht sorgen. Aber sie war schwanger.“

Die Spermareste, die er überall in und an ihrem Körper gefunden hatte und das Blut unter ihren dreckverkrusteten Fingernägeln, verschwieg er. Das war er dem armen Mann schuldig.